Cover
Titel
Ideale Balance. Die politische Ökonomie der Emotionen während der spanischen Expansion


Autor(en)
Kohlert, Manuel
Reihe
Campus Historische Studien 78
Erschienen
Frankfurt am Main 2019: Campus Verlag
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Hensel, Historisches Seminar, Universität Münster

In seiner an der Humboldt-Universität zu Berlin entstandenen Dissertation nimmt Manuel Kohlert Emotionen als Teil der politischen Kommunikation über die spanische Conquista Amerikas in den Blick. Dabei konzentriert er sich auf das 16. Jahrhundert. Geographisch steht Mexiko im Zentrum, hinzu kommen Berichte über die Eroberung anderer Regionen, etwa Peru. Die Hauptthese ist, dass Emotionen, allen voran Liebe und Furcht, eine wichtige Legitimationsgrundlage des Handelns der Spanier in Amerika darstellten bzw. auch in der spanischen Kritik am Handeln der Conquistadoren herangezogen wurden. Emotionen, so Kohlert, strukturierten den politischen Diskurs über die Rechtmäßigkeit der Eroberungen und die richtige Umgangsweise mit den eroberten Bevölkerungen. Theoretische Leitplanken bilden die aus der historischen Emotionsforschung stammenden Konzepte der „emotional regimes“ (William Reddy), und „emotional communities“ (Barbara Rosenwein)1, die in Verbindung mit Überlegungen der Kulturkontaktforschung gesetzt werden. Kohlert bezeichnet die spanischen Berichte der Eroberung als „kulturelle Kontaktzonen“ und spricht bei einigen Spaniern von „emotional-go-betweens“.2

Grundlage der Untersuchung sind Schriftdokumente aus spanischer Feder, die nach der Eroberung, häufig in erheblichem zeitlichem Abstand zu den Ereignissen verfasst wurden. Christoph Kolumbus, Hernán Cortés, die Brüder Pizarro, Gonzalo Fernández de Oviedo, José de Acosta und Bartolomé de las Casas sind wichtige Verfasser solcher Berichte und waren teilweise auch an der Überlieferung der Texte anderer beteiligt (las Casas etwa beim Bordbuch Kolumbus’). Der Autor zieht Material heran, das schon vielfach analysiert wurde, und befragt es neu nach der Erwähnung von Emotionen. Er kann herausstellen, dass die Thematisierung von der Liebe des Herrschers zu seinen Untertanen ebenso wie umgekehrt die Liebe zum Herrscher sowie die verschiedenen Facetten der Furcht, die gute, die gewissermaßen aus der Liebe zum Herrscher entsteht, und diejenige, die aus der Angst vor Bestrafung hervorgeht, eine wichtige Rolle in den Texten spielten. Kohlert untersucht zunächst die Grundlagen dieser Emotionen im politischen Diskurs in Spanien vor 1513 und geht dabei auf die Siete Partidas als zentrale Quelle der Vorstellungen zur Herrscherliebe und Furcht ein. Es folgt die Behandlung der Kolumbusschriften, in denen die Gier der Conquistadoren zum Ausdruck kommt. In den folgenden vier Kapiteln, die unter der Überschrift „Verwaltete Emotionen“ stehen, unterteilt Kohlert den Untersuchungszeitraum entlang rechtlicher Festlegungen der Krone im Hinblick auf die Behandlung der indigenen Bevölkerung. Der Erlass des Requerimiento 1513, in dem das Vorgehen der Spanier bei den Eroberungen erstmals reguliert werden sollte, steht am Beginn. Die zweite Zäsur, 1573, ist durch eine Ordenanza markiert, mit der der Requerimiento aufgehoben und der Umgang mit Indigenen bei Eroberungen neu geregelt wurde. Hier stellt Kohlert fest, dass die Beschreibungen der Unterwerfung neuer Gebiete sich den normativen Vorgaben fügte, so zum Beispiel der Bericht von Juan de Oñate über die Eroberung Neu Mexikos. Kohlert gesteht ein, dass die idealisierte Schilderung womöglich wenig mit den Ereignissen vor Ort übereinstimmte (S. 402), diskutiert diese Problematik jedoch nicht weiter.

Mit dem Fokus auf Emotionen nimmt Kohlert eine interessante Perspektive ein, wenngleich sie nicht gänzlich neu ist.3 Seine Untersuchung geht jedoch nicht weit genug. Wünschenswert wäre eine Einschätzung darüber gewesen, welchen Raum Emotionen insgesamt in den untersuchten Berichten einnahmen. Außerdem wird die Spannung zwischen der Thematisierung von Emotionen als Ausdruck des Gefühlshaushalts der Spanier und den Zuschreibungen des Gefühlshaushaltes der Amerikaner nicht weiter diskutiert. Kohlert stellt fest, dass die Zuschreibungen den Spaniern als Legitimation für das eigene Handeln dienten, behauptet aber auch, Kolumbus habe sich „gegen die Gewalt und für die Sprache der Liebe“ entschieden (S. 151). Das mag im wörtlichen Sinne für die Sprache im Bordbuch des Kolumbus so gewesen sein; die Bewohner/innen der karibischen Inseln, auf denen Kolumbus sich aufhielt, werden indes eine andere Sicht gehabt haben. Der Requerimiento von 1513 wurde zwar bereits von den spanischen Zeitgenossen belacht, Kohlert spricht ihm aber trotzdem eine zentrale Bedeutung im emotionalen Umgang mit den Amerikanern zu, weil er eine Doppelfunktion gehabt habe. So sollte die dort geforderte Bekehrung der Indigenen diese in ein „reziprokes Liebesverhältnis“ mit den Spaniern bringen. „Das Ritual des Requerimiento galt für die Spanier wiederum als liebevolles Aufnahmeangebot in diese Gemeinschaft“ (S. 216).4

Die einseitige Betrachtung der spanischen Seite lässt Fragen im Hinblick auf die verwendeten Konzepte des Kulturkontaktes offen. Es ist nicht so, dass Kohlert die neuere Literatur zur Conquista aus der Feder von Lateinamerikahistoriker/innen, die in den letzten Jahrzehnten eher versucht haben, die Seite und Perspektive der Eroberten zu beleuchten, nicht kennen würde. Er bezieht sie aber zu wenig in die eigenen Überlegungen ein. Warum zum Beispiel las Casas ein „emotional go-between“ gewesen sein sollte, wird nicht plausibilisiert. Nur weil er die Indigenen gegen die Übergriffe der Conquistadoren zu verteidigen suchte, und dies letztlich tat, um sie missionieren zu können, nutzte er noch keines ihrer Konzepte oder näherte sich ihren Gefühlsweisen an. Die Indigenen, die irritierender Weise immer wieder als „Eingeborene“ bezeichnet werden, kommen nur äußerst selten zu Wort. Das hängt zwar auch mit der Quellenlage zusammen, ist aber nicht allein darauf zurückzuführen, sondern ergibt sich aus dem Fokus der Studie auf die Aussagen von Spaniern über die Conquista. Zwar wiesen die Spanier den Indigenen emotionale Dispositionen zu, um damit ihr eigenes Vorgehen zu legitimieren, diese Zuweisungen bewegten sich jedoch im europäischen Sinnhorizont. Was das für den Kulturkontakt bzw. die kulturelle Grenze bedeutete, außer, dass die Spanier gewaltsames Vorgehen legitimierten oder gerade nicht, diskutiert Kohlert nicht. Insofern ist die Setzung Kohlerts, die Berichte stellten eine kulturelle Kontaktzone dar, nicht nachvollziehbar, handelt seine Auseinandersetzung mit den spanischen Berichten doch nicht von einer Aushandlung über Gefühlsregime oder gar von kulturellen Aneignungen zwischen den „emotional communities“ der Spanier und der Amerikaner.

Die umfangreiche, quellengesättigte Studie belegt die Bedeutung von Emotionen im politischen Diskurs der Zeit. Zur Einschätzung der Conquista trägt sie allerdings wenig Neues bei. Auch die Behauptung Kohlerts im sehr kurz geratenen Fazit, mit seiner Studie habe er zeigen können, dass Emotionen bereits in der Vormoderne verwaltet und kontrolliert wurden, und damit Norbert Elias und Ute Frevert widerlegt seien, scheint sehr gewagt vor dem Hintergrund, dass seine Studie sich mit dem Sprechen über Herrschaft befasst, während Elias Affekte und menschliches Alltagshandeln in den Blick nimmt. Mich jedenfalls kann er nicht davon überzeugen, dass etwa Cortés sich bei der Missachtung der Befehle des kubanischen Gouverneurs Velázquez allein von seiner Liebe zum spanischen König leiten ließ und deshalb auf eigene Faust Erkundungen und Eroberungen in Mexiko unternahm, auch wenn diese in seinem Rechtfertigungsbrief an den König eine wichtige Rolle spielte.

Anmerkungen:
1 William M. Reddy, The Navigation of Feeling: A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001; Barbara H. Rosenwein, Emotional Communities in the Early Middle Ages, Ithaca 2006.
2 Kohlert bezieht sich hier auf Alida C. Metcalf, Go-betweens and the Colonization of Brazil, 1500–1600, Austin 2005, und fügt ihrer Kategorisierung von Vermittlern den „emotional go-between“ hinzu.
3 Zur Liebe zum König als zentralem Topos der politischen Sprache im 16. Jahrhundert siehe bereits Alejandro Cañeque, The King's Living Image. The Culture and Politics of Viceregal Power in Colonial Mexico, New York 2004.
4 Letzteres findet sich bereits bei Brian Philip Owensby, Empire of Law and Indian Justice in Colonial Mexico, Stanford 2008, S. 2.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension